Ja, mit einem Unterschied. Raab hätte Steinbrück nicht die Frage stellen dürfen: "Wen soll ich denn jetzt wählen?" Worauf Steinbrück nur antworten konnte: "Mich natürlich!". Solche Fragen kann man in einem Duell nicht an einen Kandidaten stellen. Ich versetze mich in die Lage der CDU-Wahlkampfmanager. Sie müssten darüber empört sein; auch wenn sie dies nicht offen zugeben. Aber ich vermute, sie sind empört. Jedenfalls hätten sie allen Grund dazu.

Das TV-Duell verzeichnete eine hohe Quote. Glauben Sie, dass solche Fernsehereignisse die Zuschauer in ihrer Wahlentscheidung am 22. September wesentlich beeinflussen?

Die Wahlforscher sagen: Nein. Sie begründen dies mit dem Wahlverhalten nach den TV-Duellen der letzten drei Legislaturperioden. Da gab es ein gewisses Auf und Ab, das sich aber in den folgenden Tagen meist wieder nivelliert hat. Darauf stützt sich auch meine Vermutung. Dennoch waren diesmal zwei Dinge anders als beim letzten Mal. Der erste Unterschied: Steinbrück musste nicht aus der Rolle des Koalitionspartners argumentieren, weil er seit vier Jahren in der Opposition ist.

Und der zweite?

Der vielleicht gravierendste Unterschied ist, dass Steinbrück seit Oktober 2012 eine extrem schlechte Presse hatte. Meine Beobachtung ist, dass sich viele Deutsche mit dem Wahlkampf lange nicht richtig beschäftigt haben. Bei ihnen ist vor allem angekommen, dass Steinbrück in viele Fettnäpfchen getreten ist. Und sie hatten nicht wirklich Gelegenheit, dieses Klischee mit der Wirklichkeit abzugleichen. Jetzt hatten sie über 90 Minuten Steinbrück im O-Ton und im Bild - und keine Fettnäpfchen bemerkt. Das kann dem Kandidaten Steinbrück unter dem Strich ein wenig helfen.

Am 16. September wird die ARD-Dokumentation "Das Duell Merkel gegen Steinbrück" ausgestrahlt. Wie schaffen Sie es, den Zuschauern einen besseren Blick hinter die Kulissen der Politprofis zu gewähren?

Wir haben andere Arbeitsweisen als etwa die Kollegen von den Nachrichten. Wir arbeiten seit einem dreiviertel Jahr an dem Film. Bereits im Januar haben wir die Kandidaten bei den Landtagswahlen in Niedersachsen beobachtet. Zudem habe ich elf bis zwölf Personen zu beiden Kandidaten interviewt, sowie Merkel und Steinbrück selbst. Da setzt sich ein Puzzle zusammen. Aus diesen verschiedenen Elementen entsteht ein komplexeres Bild. Dazu kommt, dass wir mit der Kamera, Bilder bei Auftritten, bei Reisen, im Büro usw. einfangen können, die in einem sterilen Studio wie beim TV-Duell kaum auffallen: Gestik und Mimik etwa.

Ihr Doku-Duell sorgt im Vorfeld für Ärger. Die SPD fordert eine Entschuldigung von Kanzlerin Angela Merkel, da sie im Interview mit Ihnen gesagt habe, die SPD sei europapolitisch "total unzuverlässig". Halten Sie dies für berechtigt oder nur für Wahlkampf-Polemik?

Es ist beides. Ich kann verstehen, dass sich die SPD darüber erregt, weil es auch innerhalb der Koalition Widerstände gegen die Euro-Rettungspolitik der Kanzlerin gab. Darauf hat Frau Merkel in dem Interview aber keinen Bezug genommen. Sie hat ausschließlich auf die Widersprüche in den Stellungnahmen der SPD hingewiesen. Dies ist halt Wahlkampf. Dass der Kandidat Steinbrück diese Angelegenheit jetzt an eine derart große Glocke hängt, sowohl im TV-Duell wie auch im Bundestag, ist ebenfalls Wahlkampf. Und insbesondere ist es Wahlkampf, wenn andere SPD-Politiker den Eindruck erwecken, dass wegen dieses Zitats etwaige Verhandlungen über eine große Koalition scheitern könnten. Das nehme ich der SPD nicht ab.

Warum nehmen politische Dokumentationen bei Ihnen einen so großen Stellenwert ein?

Mich interessiert nicht die einzelne Partei. Was mich interessiert, sind Verhaltensmuster der politischen Klasse. Außerdem Politikerbiographien, die nicht stromlinienförmig verlaufen. Es wäre für mich etwa schwierig, einen Film über den Berufspolitiker Edmund Stoiber zu machen. Dies wäre sehr unergiebig. Aber Biographien mit Brüchen und Widerständen und starken Verläufen sind faszinierend. Mich interessiert, warum Menschen ins Politik-Geschäft einsteigen und was sie erleben, wenn sie in der Politik Karriere machen, wie sie sich verändern, wie sie gelegentlich deformiert werden, auch moralisch. Das versuche ich mit filmischen Mitteln herauszuarbeiten und darzustellen. Daraus sind in den letzen eineinhalb Jahren zwei Montagefilme ganz ohne Kommentartext entstanden: "Schlachtfeld Politik" und "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort". Diese Filme zeigen Facetten des Politik-Betriebs, die in Nachrichten zu kurz kommen.

In der erwähnten Doku "Schlachtfeld Politik" hat Wolfgang Kubicki Selbstmordgedanken geäußert, die Linke-Politikerin Katina Schubert gestand Ihnen, sie habe nach dem Machtkampf mit Oskar Lafontaine einen Schlaganfall erlitten. Wieso kommen Sie den Politikern so nah?

Weil ich, und das ist die Grundvoraussetzung für die Interviews, keine Stellungnahmen einhole. Ich habe mit Wolfgang Kubicki drei, vier Stunden lang gesprochen, fast ebenso lang mit Katina Schubert. Wir sitzen hierfür sehr lange in einem abgedunkelten Raum, halten Telefonanrufe fern und reden konzentriert. Dies ist eine intensive und anstrengende Reise, bei der die Politiker in der Regel Dinge sagen, die sie in einen Pressekonferenz oder einem Nachrichteninterview nicht preisgeben. Fragen Sie mal Herrn Kubicki, der ist ja Profi.

Warum bieten Sie Ihre Dokumentationen nicht den privaten Sender an?

Der Journalismus, der uns wichtig ist, ist eher bei den öffentlich-rechtlichen Sendern Zuhause als bei den Privaten. Aber wir haben uns mit zwei anderen Firmen vor einigen Monaten für eine Sub-Lizenz für ein Fensterprogramm bei RTL beworben - und die Lizenz bekommen. Damit stellen wir Wissensprogramme für Jugendliche her. Mit der notwendigen redaktionellen Unabhängigkeit können wir auch dort Journalismus betreiben, der uns wichtig ist.

Haben Sie neue Projekte geplant?

Wir machen einen Film für den NDR über den Technologiekonzern Continental in einer Sendereihe namens "Made in Norddeutschland". Dann arbeiten wir im Auftrag des SWR für die ARD in der Reihe ‚Geheimnisvolle Orte‘ an einem Film über das Gefängnis in Stammheim. Im Auftrag von "die story" für den WDR produzieren wir außerdem einen Film mit dem Arbeitstitel "Der Fall Opel". Er soll einem besonderen Blick auf das Werk Bochum werfen. Ein etwas leichteres Thema ist ein Film für NDR und Arte über die Süßwasser-Matrosen vom Titicaca-See.