Richard Gutjahr war der Mann für düstere Prognosen: Die klassischen Medien in Deutschland haben nach Ansicht des Bloggers und BR-Journalisten kaum eine Chance gegen die amerikanischen Internetgiganten. ”Kein Chefredakteur, kein Programmdirektor kennt mich besser als Google, Facebook, Amazon oder Netflix“, sagte Gutjahr am Donnerstag. ”Wie wollen Sie, meine Herren, dagegen jemals ankommen?“ Die großen Online-Plattformen entwickelten sich immer mehr zu einer Erlebniswelt, aus der die Besucher nicht mehr herauskommen sollen.

"Die große Disruption kommt erst noch", warnte am Donnerstagabend Nicolas Clasen, Autor des Buches "Der digitale Tsunami" und Managing Consultant bei Digicas Strategy Consulting, die Vermarkter mit Blick auf die US-Riesen wie Facebook, Google oder Amazon. Ihr Vorteil aus Clasens Sicht: riesige Reichweiten, exakte Login-basierte Nutzerdaten und die Technologie für datengesteuertes Marketing. Google verfüge über eine Vielzahl "fantastischer" und exakter Abverkaufszahlen, Facebook über Branding-Daten. Beide würden massiv das Geschäft der Werbetreibenden in Angriff nehmen und ihre Online-Geschäftsmodelle ausbauen, während die deutschen Player sich auf ihre bewährten Geschäftsmodelle zurückzögen.

"Die nächsten Jahre werden richtig wild", ist auch die Ansicht von Uwe Storch. Der stellvertretende Vorsitzende der Organisation Werbungtreibender (OWM) und Mediachef von Ferrero sagte, die US-Konzerne seien mit ihren Datenschätzen und geschlossenen Öko-Systemen aus Sicht der Werbungtreibenden absolut im Vorteil. "Die deutschen Vermarkter sind dringend gefordert zu kooperieren und müssen endlich anfangen, ebenfalls Login-Modelle zu bauen", lautete die Warnung von Storch. Wie etwa die neue Otto Group Media.

Guido Modenbach, Geschäftsführer beim ProSiebenSat.1-Vermarkter SevenOne Media, mochte noch keine unmittelbare Bedrohung erkennen: "Der Sprung in das Segment der Branding-Werbung ist den US-Giants noch nicht gelungen." Das Medium TV mit seiner großen Reichweite, seinen Kommunikationslösungen und seiner nachgewiesenen Werbepower würde noch lange eine wichtige Rolle spielen.

EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) hat eine Überregulierung der deutschen Medienaufsicht beklagt und am Freitag ein Umdenken beim Rundfunk- und Medienrecht gefordert. Im Wettbewerb der Medien mit amerikanischen Online-Giganten wie Google, Facebook, Amazon und Apple könnten nur einheitliche europäische Standards helfen. "Im digitalen Sektor halte ich nationale und regionale Gebietsgrenzen für immer mehr irrelevant", sagte Oettinger. "Unsere Arbeitsstruktur muss sich radikal ändern", forderte der EU-Kommissar für digitale Wirtschaft. Es dauere acht Jahre, bis ein Mediengesetz in Europa beschlossen und in nationales Recht umgesetzt werde. "Da fassen sich die Player an den Kopf. Sie können für die Genehmigung der 17. Rippe im Mastschwein acht Jahre brauchen. (...) Aber digitale Medien sind schnell. Deswegen brauchen wir Beschleunigung." Oettinger ergänzte: "Was bei der Papstwahl möglich war, sollte auch beim Medienrecht möglich sein."

"Radio ist bei der Jugend vom Radar verschwunden", urteilte Ex-Radiomann Martin Liss, jetzt Chief Officer beim Youtube-Vermarkter Mediakraft Networks beim Radiogipfel am Donnerstag. Aktuell wolle sich die Jugend vor allem in Online-Video ausprobieren. Der Hörfunk müsse daher den Kontakt zu anderen Medien suchen  "Wir müssen uns zusammenschließen und Kooperationen eingehen", mahnte auch Hans-Dieter Hillmoth, Chef von Radioplayer Deutschland. Ein wichtiger Schritt in die Richtung soll nächste Woche stattfinden, wenn ein Treffen aller Autohersteller mit Radioplayer stattfindet.

"Nur Audio reicht nicht mehr": So zeichnete Kristian Kropp, Chef von Big FM, das Bild vom "neuen" Arbeitsfeld Radio. Radioköpfe werden dabei zu Social Influencern, in den sozialen Medien wird über die Moderatoren gesprochen. Und Reporter werden zu Audio-Bloggern, sie werden die Stimme des Web. Einen Schritt weiter scheint da schon der gebührenfinanzierte ORF zu sein, der am Rande der Medientage München bekannt gab, seine drei nationalen und neun regionalen Hörfunkprogramme im ersten Halbjahr 2016 in einer smartphonegerechten App namens  Radiothek bündeln zu wollen.

"Radio ist ein unterschätztes Medium", fand Carsten Schüerhoff, neuer Geschäftsleiter Radio und TV bei Bauer Media. Der Verlag startete pünktlich zur Messe im Netz Bravo Radio. Und Bauer zeigte sich überzeugt: Gerade im digitalen Zeitalter sei der Audiospot, der nicht auf dem Display stattfindet, von großer Bedeutung, da er direkt ins Ohr geht.

Webradio auf gutem Weg: Für 2016 erwartet die Branche laut dem frisch aktualisierten BLM-BVDW-Webradio-Monitor immerhin nun 150 Millionen Euro Umsatz mit Online-Audio , für 2015 ambitionierte 100 Millionen Euro.  

Durchdachte Werbung ist eine weitaus bessere Waffe gegen den Verlagsschreck Adblocker als beispielweise eine Intervention durch die Politik oder der Springer-Versuch, bei Bild.de die Werbeblockaden zu blockieren. Mit ihrer Keynote zum Auftakt der Medientage München setzte Printmacherin Miriam Meckel ein Zeichen für mehr Kreativität bei Werbung und Inhalten.  Die "WiWo"-Chefredakteurin zitierte WPP-Chef Martin Sorrell mit den Worten: "Wir kommen Adblockern nicht mit Verboten bei. Es müssen neue und clevere Werbeformen her, die überzeugen und bewegen."

Journalistischer Wert definiert sich vor allem durch Erlöse. Ganz ohne regulatorische Einwirkung, aber mit viel Innovationskraft habe die auflagenstärkste und einflussreichste Tageszeitung Finnlands die Reise in die digitale Transformation angetreten, erläuterte Petteri Putkiranta, Senior Vice President vom "Helsingin Sanomat" aus Finnland beim Printgipfel am Donnerstag. In seinem Impulsreferat erläuterte Putkiranta die "join-instead-of-buy2-Mentalität des Medienkonzerns Sanoma, dem es gelang, 50 Prozent seiner Einnahmen durch Digital-Abos zu erzielen.

Phänomene wie die atemberaubende Zunahme mobiler Mediennutzung und die Ablösung der "Morgenzeitung" durch 24-Stunden-Aktualisierung bewertete Putkiranta positiv: "Noch nie haben Zeitungen – in welcher Form auch immer – so viele Kunden wie heute erreicht." Im Zusammenhang mit der "zweiten Revolution" – nach dem Wechsel von Print zu Digital nun der Wechsel von Digital zu Mobile Media – beobachte er eine Verstärkung der Zahlungsbereitschaft und habe hervorragende Erfahrungen mit kombinierten Abo-Modellen gemacht.

Native Advertising ist ein Geschäftsmodell, das den Marketing-Mix von Verlagen durchaus ergänzen kann. Doch die von Dritten bezahlten Inhalte, die im redaktionellen Umfeld platziert werden, müssten für den Nutzer klar erkennbar sein. Auch sollte der von Werbekunden bezahlte Content thematisch und vom Format her in das redaktionelle Umfeld eingepasst werden. Dieses Fazit zogen die Teilnehmer einer Panel-Diskussion, die im Rahmen der Medientage München gemeinsam vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und vom Verband Bayerischer Zeitungsverleger (VBZV) veranstaltet wurde.

Content Marketing wird als Thema inzwischen auch auf den Medientagen München angekommen:

ps/ko/mp


Autor: Petra Schwegler

Die @Schweglerin der W&V. Schreibt seit mehr als 20 Jahren in Print und Online über Medien - inzwischen auch jede Menge über Digitales. Lebt im Mangfalltal, arbeitet in München.