Sie fordern nach wie vor ein neues Abrechnungsmodell im TV-Geschäft – auf GRP-Basis, ähnlich wie in Großbritannien.

Die Abrechnung nach der Durchschnittsreichweite eines Werbeblocks ist absolut anachronistisch. Ein Durchschnitt sagt nicht viel aus. Wenn Sie Ihren Kopf in den Kühlschrank halten und ihre Füße in den Backofen, dann ist der Durchschnitt vielleicht in Ordnung – aber tatsächlich geht es Ihnen ziemlich schlecht.

Aber Werbekunden profitieren doch von diesem deutschen Modell. Mediaagenturen erzielen durch ihre Reichweitenprognosen und Optimierungen Vorteile, die sie an ihre Kunden weiterleiten.

Das bestreite ich auch nicht. Es gibt Kunden, die von dieser Planungsleistung profitieren. Aber als Verband geht es uns nicht nur um die Interessen einzelner Werbekunden sondern um das Gesamtbild. Wir brauchen ein Modell, in dem Werbekunden das bezahlen, was sie wirklich bekommen. Ich gehe ja auch nicht zum Bäcker mit der Erwartungshaltung: Wenn ich heute gut bin, dann bekomme ich für mein Geld ein Brötchen mehr. So etwas gibt es nur in der Mediabranche.

"Werbeblock wird entwertet"

Sie kritisieren dieses Jahr nicht mehr die Überfüllung der Werbeblöcke und die zahlreichen Media-for-Equity-Spots. Ist das aus Ihrer Sicht besser geworden?

Das Problem ist nach wie vor da. Die Sender müssten eigentlich ein großes Interesse daran haben, dass ihre Werbeblöcke attraktiv bleiben. Wenn aber nacheinander fünf Media-for-Equity-Spots laufen, die irgendjemand in der Garage zusammengeschraubt hat, wird der Werbeblock entwertet. Auch deshalb wollen wir ein neues Abrechnungsmodell. Bei einer Spot-basierten Abrechnung hätten die Sender kein Interesse mehr daran, ihre Werbeblöcke derart zu überfrachten, weil dann die Sehdauer sänke.

Warum verschärfen Sie Ihre Kritik an der AGF?

Wir haben die Reform der AGF und die Erweiterung um neue Gesellschafter sehr unterstützt. Aber nun wir müssen feststellen, dass vieles noch nicht so funktioniert wie es funktionieren müsste. Unsere Erwartungen an die neu gegründete AGF GmbH sind – noch – nicht erfüllt worden.

Welche denn?

Im klassischen Kernprojekt der AGF, der Messung der linearen TV-Nutzung, müssen wir massivste Qualitätsmangel des Dienstleisters GFK beklagen. Der durch den Ablauf eines Zertifikats für den Datentransfer zwischen Panelhaushalten und GfK bedingte Ausfall der AGF-Berichterstattung war eine Blamage für den deutschen Marktforscher GFK und ist aus meiner Sicht ein Zeichen gravierender Schlamperei in Nürnberg mit der Konsequenz hoher Kosten für den gesamten TV Markt. Stellen Sie sich vor, ein Stromanbieter würde sieben Tage lang keinen Strom liefern. Die GfK hat sieben Tage lang keine Daten geliefert! Und die Frage ist: hat man wirklich alles unternommen, um dieses Problem schnell zu lösen?

Hat man?

Es wurde nicht alles unternommen. Die damalige Problemlösung der GfK war langatmig, bürokratisch träge und unprofessionell. Das ist ein Zeichen für mangelhafte Prozesse bei der GfK. Man hat dort wochenlang Fragen nicht beantwortet. Das kann nicht sein.

Welche Verantwortung trug die AGF selbst für diese Panne?

Die AGF GmbH muss das besser steuern und ihren Dienstleiter GfK in Verantwortung nehmen. Das Verhältnis zwischen AGF und GfK muss auf ein neues Fundament gestellt werden. Es gibt ja noch weitere Probleme: fehlende Fallzahlen einzelner Zielgruppen, Zero-Ratings, nicht berichtende oder nicht kooperierende Haushalte, unklare technische Messungen - all dies schafft kein Vertrauen. Wenn so Vieles über einen längeren Zeitraum nicht funktioniert, sind wir in der Pflicht, hier etwas zu unternehmen.

Stellen Sie die Zusammenarbeit mit der GfK in Frage?

So weit würde ich nicht gehen. Aber die GfK muss erkennen, dass es auch um ihr gutes Renommee geht. Sie muss ein hohes Interesse daran haben, dieses Vorzeigeprojekt der deutschen Reichweitenmessung aufrecht zu erhalten. Bei aller Kritik: die GfK ist nach wie vor ein sehr guter Marktforscher. Und das AGF-System ist das Beste, was es in diesem Bereich gibt – wahrscheinlich sogar weltweit. Aber es muss dringend renoviert werden. Renovieren heißt allerdings nicht: alle Wände einreißen.

Sie fordern außerdem eine Aufstockung des Panels. Wie groß müsste es denn werden?

Ich glaube grundsätzlich nicht an Zero-Ratings. Wenn ein TV-Sender dank eines IP-TV-Signals nachweisen kann, dass Menschen zugeschaut haben, kann man nicht sagen: die Reichweite war Null. Unsere europäischen Kollegen haben bereits vor Jahren begonnen, ihre Panels aufzustocken und zu boosten. Wahrscheinlich wird die Antwort aber nicht sein, das Panel von 5.000 auf 10.000 Haushalte zu verdoppeln. Es gibt Alternativen: die Verwendung von Return Path Data oder die Kombination mit weiteren externen Panels.

"Dann kann man auch würfeln"

Sie wollen, dass AGF und Agof enger zusammenarbeiten. Wie denn genau?

Beide messen die Nutzung von nicht linearem Online-Bewegtbild. Sie kommen mit zwei unterschiedlichen Messmethoden zu zwei unterschiedlichen Ergebnissen. Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Dann kann man auch würfeln. Dass beide JICs dieses Thema aus einem unterschiedlichen Blickwinkel betrachten, ist klar. Aber das muss man lösen. Wir brauchen einen gemeinsamen Messstandard und einen gemeinsamen Messdienstleister, der für AGF und Agof diese Daten erhebt.

Wie sollten TV-Sender Ihrer Meinung nach denn ihre Markenpositionierung stärken, wie Sie fordern?

Lineares TV wird auch weiterhin eine ganz wichtige Funktion haben, wenn die Zuschauer wissen, wofür eine Sendermarke steht. Je klarer die Sendermarkte und je höher die Bindung zu den Zuschauern – und desto leichter fällt es uns, dort Werbung zu schalten. In einigen Sendern sehe ich da viele Bemühungen. Bei anderen Sendern aber, die sich noch eher als Abspielstation von US-Serien und Filmen sehen, sehe ich da Schwierigkeiten.

Inwiefern ist es ein Problem, wenn Teile des Publikums durch Anbieter wie Netflix dem werbefinanzierten TV entzogen werden?

Das ist eine Riesenherausforderung. Aber eigentlich sind Netflix und die Fernsehsender nur mittelbar Konkurrenten. Netflix wird immer Spezialinteressen bedienen. Lineares TV aber zielt auf große Reichweiten. Dafür braucht man unverwechselbare Formate. Das werbefinanzierte Fernsehen muss uns Werbetreibenden weiterhin diese Leuchttürme anbieten. Ich glaube daran, dass das bisweilen tot gesagte lineare TV überhaupt nicht tot ist – wenn es an seiner Markenpositionierung arbeitet.


Autor: Thomas Nötting

ist Leitender Redakteur bei W&V. Er schreibt vor allem über die Themen Medienwirtschaft, Media und Digitalisierung.