Reduziert Facebook das Volumen von professionellen Posts drastisch, wäre es ein gewagtes Manöver. "Es wäre mehr als fraglich, ob damit die Attraktivität der Plattform für den Konsumenten erhöht wird. Es könnte sich aber auch kontraproduktiv auswirken, wenn kommerzielle Botschaften – da bezahlt – zukünftig im Schnitt werblich aggressiver gestaltet werden", sagt Sascha Jansen, Chief Digital Officer bei der Omnicom Media Group. Zudem definiert sich die Attraktivität von Facebook für Unternehmen zu einem großen Teil dadurch, als Marke mit Usern  in der gleichen Umgebung in Kontakt zu treten wie Freunde mit Freunden. 

Nur hätte die Kursveränderung auch etwas positives, sofern der mögliche Werbedruck für Kunden limitiert wird: "Das ist im Zweifel aber eher positiv, denn damit verringert sich gleichzeitig das allgemeine Noise-Level", sagt Jansen. Das wiederum werte die einzelnen Botschaft auf und verhindere unter dem Strich auch ein zunehmendes Abstumpfen der Facebook-Gemeinde gegenüber werblichen Botschaften.

Für Hossein Houssaini von Havas geht Facebook von Quantität in Richtung Qualität. Das wäre grundsätzlich kein falscher Schritt. Nur bedeutet dies für den Global Head of Programmatic Solutions auch, dass Kommunikation über die Plattform teurer werden dürfte. Facebook müsse also neu beweisen, dass sich die Werbeinvestments für Kunden lohnen. Andererseits kann er die Kursänderung nachvollziehen, zumal beim immer noch sehr jungen Konzern nicht alles nach Plan laufe. Ein bekanntes Problem ist beispielsweise die Rekrutierung der jungen Zielgruppen. Hier bietet Snapchat derzeit bessere Umfelder.    

Unternehmen kommen also nicht daran vorbei, Facebook neu zu bewerten. Gehen die organischen Reichweiten weiter zurück, heißt dies jedoch nicht nur, die Bedeutung von Facebook als Werbekanal zu hinterfragen, sondern auch die Umsetzung. "Für viele Kunden ist Facebook ein Werbekanal, der wie die meisten anderen auch als einzelner Silo behandelt wird", sagt Siamac Rahnavard, Geschäftsführer der auf Programmatic-Advertising spezialisierten Agentur Echte Liebe.

Mit anderen Worten, Facebook steht als Kanal im Mediaplan, mehr nicht. Eine echter holistischer Ansatz für die Datennutzung über Facebook oder eine echte Kommunikation mit Konsumenten sei laut Rahnavard aber viel zu selten zu erkennen. 

Keine Überraschung

Für Facebook ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Neujustierung der Algorithmen erst getestet und die Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt zur Strategie erklärt werden. Gleiches war zu beobachten, als Zuckerberg die Strategie für mehr Videoinhalte anschob. Auch die aktuelle Änderung hatte Vorboten, die Zuckerberg in seinem Post eher kleinredet. Bereits im vergangenen Jahr hat Facebook die Newsfeeds der User deutlich bereinigt.

Nahezu alle Medien klagten über rückläufige Seitenabrufe, die durch Facebook-Posts ausgelöst werden. Das führte sogar dazu, dass Google Facebook als wichtigster Traffic-Lieferant laut der Site-Analysefirma Parse.ly wieder überholt hat. Dieses Überholmanöver fand laut der US-Firma im vergangenen Juni statt und repräsentiert den Schnitt von mehr als 2500 zumeist redaktionelle Websites, die Parse.ly einsetzen. Erstmals vor Google tauchte Facebook laut älteren Parse.ly-Zahlen im Juni 2015 auf. 

Facebook und Google liefern mit Abstand die meisten Usern auf Websites

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Aus Sicht des Konzerns ist eine Rückbesinnung auf den Kern - sprich der Austausch im Freundes- und Bekanntenkreis - dringend notwendig. Facebooks Mission ist, Menschen zu verbinden. "Schon in der Vergangenheit hat Zuckerberg bewiesen, dass er die Facebook-Nutzer bei seinen Entscheidungen in den Mittelpunkt stellt", sagt Dariusch Hosseini, Managing Partner bei UDG United Digital Group.

Der Plan: ein Facebook-Account für das gesamte Web

Wenn er jetzt auf das Feedback der User reagiert und die Ergebnisse akademischer Forschung und eigener Analysen miteinbezieht, sei das nur konsequent, so Hosseini, der für Facebook auch schon gearbeitet hat. "Um relevant im Alltag seiner Nutzer zu bleiben, nimmt Zuckerberg sogar in Kauf, dass Nutzungsdauer und andere Messgrößen für das Engagement zurückgehen." Das könnte weniger Umsatz bedeuten. Nur langfristig kann er damit rechnen, dass Änderungen, die gut für die Community sind, sich auch finanziell auszahlen.

Denn Zuckerberg will und muss sicherstellen, dass Nutzer einen Facebook-Account anlegen. Sein Problem: Die jungen Nutzer machen um Facebook einen Bogen, relevant sind für sie andere Plattformen wie Instagram, Snapchat und Whatsapp. Nur sollen auch sie einen Facebook-Account nutzen. Er muss - so ein zentrales Ziel von Facebook - zu einer Art universeller Ausweis und Visitenkarte werden - ein universeller Log-in, ein Account für alle Daten.

Schon heute bieten etwa zwei Drittel aller Apps und hunderttausende Websites einen Log-in via Facebook an. Nur so kann Facebook sein anerkannt extrem gutes Content- und Werbetargeting aufrecht erhalten. Wo und in welcher Form die Daten monetarisiert werden, ist am Ende nebensächlich - egal ob auf Facebook selbst, auf Instagram oder in einer App eines Drittanbieters über das eigene Werbeprogramm, dessen potenzial Facebook bis heute längst noch nicht ausgeschöpft hat. Warum auch, es bestand bislang keine Not, das Geschäft brummt auch so.   

Nur dürfte genau dieses übergreifende Business eine Rolle spielen, wenn die Datenschutzschrauben angezogen werden. Ab Ende Mai gilt in Europa die Datenschutzgrundverordnung verbindlich für alle, zudem ist die ePrivacy-Verordnung auf dem Weg, die die Nutzung von Cookies stark einschränken wird. Ähnliche Tendenzen, die Datennutzung einzuschränken, sind in den USA zu sehen. Nur Facebook kann über den Log-in die Zustimmung zu datengetriebenen Marketing auf allen Plattformen leichter einholen, als alle Wettbewerber. Allerdings nur, wenn möglichst viele Menschen Facebook-User sind. 


Autor: Leif Pellikan

ist Redakteur beim Kontakter und bei W&V. Er hat sich den Ruf des Lötkolbens erworben - wenn es technisch oder neudeutsch programmatisch wird, kennt er die Antworten. Wenn nicht, fragt er in Interviews bei Leuten wie Larry Page, Sergey Brin oder Yannick Bolloré nach.