Bei der Diskussion um Opt-Out-Regelungen zählen Sie zu den Gegnern und kritisieren auch das Interactive Advertising Bureau.

Ich stimme dem IAB zu, dass wir von der Konsumentenperspektive reagieren müssen. Wenn Menschen einen Opt-out wollen, müssen wir den bieten. Aber wir stellen uns zu simpel an. Wir reagieren nur auf die EU. Die Konsumenten wollen ja nicht aus der Technologie raus, sondern bei dieser oder jener Marke. Denken Sie an Shopping in einem Einkaufszentrum: In dem einen Laden wimmeln Sie den Verkäufer ab, in dem anderen unterhalten sie sich, erzählen Persönliches. Weil sie das Gefühl haben, dass die Verkäuferin ihnen dabei helfen kann, eine bessere Entscheidung zu treffen. Wenn Technologie das nachahmen kann, dann haben wir ein Siegerkonzept.

Stattdessen reden wir über Furcht und Menschen, die sich von Werbung ausspioniert und verfolgt fühlen.

Weil wir es falsch machen. Mit unserer Datenanalyse im Netz und des Kaufverhaltens etwa: Wir wühlen uns praktisch durch den Müll der Leute, wissen genau, was sie getan haben. Und dann haben wir auch noch den Nerv, danach bei den Leuten an die Tür zu klopfen und zu sagen "Hallo, ich weiß, dass du das gekauft hast, willst du nicht auch dies kaufen?" Wenn wir Technologie nicht kontrollieren, wird das immer schlimmer.

Das liegt auch daran, dass die meisten Nutzer gar nicht verstehen, was sie alles an Informationen freigeben und hinterlassen. Umso größer fallen dann das Erstaunen und Entsetzen aus. Weil es ein abstraktes Thema ist.

Klar. Aber das ist kein Online-Problem. Wenn ich erzähle, was Unternehmen mit Kreditkartendaten machen, wird es vielen auch anders. Die können an verändertem Verhalten Scheidungen prognostizieren.

Natürlich. Die Supermarktkette Target schickt Schwangeren auch Werbung für Schwangerschaftsprodukte, bevor die überhaupt welche gekauft haben. Weil sie die Schwangerschaft aus den anderen Kauf-Veränderungen ablesen können.

Ja. Aber keiner stellt sich hin und sagt: Lasst uns Kreditkarten verbieten! Das Problem existiert in ganz vielen Bereichen. Das ist kein Online-Problem, das ist ein menschliches Problem.

Und wie gehen Sie damit um?

Wir als Unternehmen haben da eine ethische, moralische Verpflichtung. Wir wissen, was man alles tun könnte. Aber wir blicken darauf, wie wir das Leben der Konsumenten besser machen könnten.  Wir stellen uns nicht wie Mark Zuckerberg hin und sagen "Ach, Privatsphäre wird in der Zukunft keine Rolle mehr spielen".  Wenn Menschen bereit sind, Produkte auf Facebook zu liken, sich in eMail-Newsletter einzutragen, auf Werbung zu klicken, weil sie das interessiert, dann ist das toll. Aber das machen sie dann, wenn es für sie einen Mehrwert bietet.

Den muss es eigentlich für beide Seiten bieten. Die Konsumenten und die Werbungtreibenden.

Technologie ist neutral. Wenn wir sie so einsetzen, dass sie dem Konsumenten mehr für ihn relevante Informationen  dann und dort gibt, wo er es will, dann ergibt es Sinn. Dann hilft sie ihm, statt Angst zu machen.

Angst vor dem Neuen ist ja auch nichts Neues. Als die Eisenbahn erfunden wurde, befürchteten Leute, dass sie diese Geschwindigkeit überhaupt nicht überleben könnten.

Wir haben nicht Angst vor Technologie, sondern vor Veränderung. Das ist eine menschliche Regung. Und die ist es, die wir besser verstehen müssen.  Wir müssen Dinge für Konsumenten besser machen – ihnen relevantere Inhalte liefern, bessere Nutzungserlebnisse. Wenn ich ein Produkt in den Kühlschrank lege und der erfasst, was da ist, was nicht oder was bald abläuft, dann macht es mir das Einkaufen leichter.

Es geht immer darum, wie es mir das Leben leichter macht. Als ich das erste Mal das Projekt von Tesco in Japan sah, in U-Bahnstationen statt Werbeplakaten Bilder von Supermarktregalen zu hängen, deren Codes ich dann via Smartphone einscannen und sie direkt bestellen kann, dachte ich großartig, das ist brillant! Ich hasse sinnloses Rumstehen und auf die Bahn warten. Wenn ich dabei meine Einkäufe erledigen kann, ist das klasse. Da muss keine Werbung hängen. Wenn ich direkt einkaufen kann, ist das viel direkter und hilft mir.

Und so sehen wir das. Wir sind zuerst Kommunikatoren. Meine Aufgabe ist die eines Übersetzers zwischen Konsumenten und Marken. Wie kriegen wir die richtige Art von Botschaft im richtigen Moment auf die richtige Weise an den Mann? Und wie vermittle ich Marken, was ihre Kunden wollen.

Wie funktioniert ihr Prozess? Teil ihres Jobs ist es ja, immer zu schauen, was als Nächstes kommt, auf welche Innovationen sich ihr Unternehmen einstellen sollte.

Das Lustige ist: Was als nächstes kommt, ist je nach Weltteil unterschiedlich. Jede Kultur filtert Dinge anders, jedes Land hat seine eigenen Stärken. Ich identifiziere diese Stärken und die Bedürfnisse in den anderen Ländern. Und durch welche Filter etwa eine Technologie oder Produktinnovation gehen muss, um in einem anderen Land akzeptiert zu werden. In Deutschland ist das etwa die Datenschutz-Empfindlichkeit. Auf der anderen Seite kann ich mir anschauen, woran welcher Widerstand liegt. Wieso NFC in den USA nicht funktioniert, aber in Japan. Das müssen wir analysieren.

Von William Gibson stammt der Satz "Die Zukunft ist hier, sie ist nur ungleichmäßig verteilt". Besteht ihr Job also darin, die Puzzle-Stücke zu finden und herauszukriegen, wie sie zusammenpassen?

Perfektes Beispiel. In Südkorea und Japan haben wir seit zehn Jahren Netze über 3G-Standard. In fünf Jahren wird das in Europa auch so sein. Dieser Unterschied verschwindet also. Auf der anderen Seite gab es in Japan nie offene Betriebsplattformen. Wenn Sie den Grund für die Unterschiede erkennen, dann können Sie prognostizieren, was kommen wird.


Autor: Ralph-Bernhard Pfister

Ralph Pfister ist Koordinator am Desk der W&V. Wenn er nicht gerade koordiniert, schreibt er hauptsächlich über digitales Marketing, digitale Themen und Branchen wie Telekommunikation und Unterhaltungselektronik. Sein Kaffeekonsum lässt sich nur in industriellen Mengen fassen. Für seine Bücher- und Comicbestände gilt das noch nicht ganz – aber er arbeitet dran.